Nimm di in Acht!

 

Fridli Leuzinger oder auch "Dr starch Lüüziger“ genannt, stieg noch als alter Mann einmal im Jahre auf den Urnerboden, um Käse einzukaufen. Dann sassen jeweils alle Grauköpfe des Bodens in einer Küherhütte um den Plattentisch, sprachen von guten alten Zeiten und den merkwürdigen Zeitläuften. Dazu tranken sie Most und tubakten ihren Dreikönigs-Kanaster, dass das Stübchen in dichten Qualm gehüllt war. Draussen strichen derweil junge Burschen umher und trieben allerlei Kurzweil. Endlich kam einem in den Sinn, das Fensterläuferli zu ziehen, an dem der alte Leuzinger sass, und ihn an seinen weissen Locken zu zupfen. Ruhig wandte sich der Greis um und warnte hinaus: „Nimm di in Acht, Puurschtli, oder ich gschau di!“ Aber es dauerte nicht lange, so wurde das Fensterlein wieder gezogen und der Netschteler gezupft. Die zweite Mahnung klang schon gebieterischer, nützte aber auch nichts, denn nach einem Weilchen wollte der Bursche eine dritten Rupf versuchen.

 

Der alte Leuzinger hatte sich aber wohl versehen, und obwohl es schien, als sei er mit Leib und Seele bei der Gesellschaft, passte er doch mit seinen scharfen Augen und Ohren auf – und kaum hörte er das Läuferli ziehen, griff er ins Dunkel hinaus und zog. Ein 18-jähriger, hochgewachsener Bengel rasselte samt dem Fenster in die Stube herein, quer über den Tisch. Dann hielt der Leuzinger dem Frechdachs eine Predigt über Anstand, und dass man das Alter ehren sollte, und er walkte den Hinterteil des Burschen gehörig durch. Hierauf stellte er den schamroten Lümmel, dem das Fenster wie ein Chorkragen am Hals hing, vor die Tür und sprach: „Ha dr nüd zweimal gseit, Buebli, ich well di gschaue? Lauf jetz hei und lass dr ds Füdeli salbe!“ Der starke Leuzinger hatte fortan Ruhe auf dem Urnerboden.