Oh Süss, wie bist du sauer!

Ein geselliger, lieber Kerl war der „Oh Süess".
Ein geselliger, lieber Kerl war der „Oh Süess".

von Hans Speck

 

"Oh Süss, wie bist du sauer“ wurde gelegentlich unser Protagonist auf der Strasse oder in der Beiz gehänselt. Zu Unrecht, denn Jakob Weber, Holzer aus Berufung und Knecht auf verschiedenen Glarner Alpen war die Fröhlichkeit in Person und selten sauer. Was ihn speziell auszeichnete und was mir in Erinnerung geblieben ist, waren seine Schlagfertigkeit und seine ausgeprägte Bauernschläue. Seine Sätze endeten immer mit einem fröhlichen Lachen. „Logg da, dr Spegg-Schmuggolinski, hihihi!“, begrüsste er mich einmal bei meiner Ankunft auf der Alp Bösbächi, wo er als Knecht in Diensten stand. Jakob (Köbi) Weber war in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und musste von Jugend an zupacken. Über den Sommer diente er als Alpknecht und im Winter lebte er daheim in Netstal, besorgte seinen kleinen Viehstand und half allen und überall, wo er konnte. Zusätzlich war er ein fleissiger Holzer für Auftraggeber und auf eigene Rechnung. Ob Sturm oder Regen, ob Kälte oder Hitze, "Oh Süss“ erklomm die steilsten Krächen, fällte Bäume und schleppte das Holz ins Tal, zersägte und spaltete die Klafterscheite und band die früher beliebten Bürdeli. Sein Leben als Junggeselle war bestimmt nicht immer einfach. Köbi liess sich seine gute Laune deswegen nicht verdriessen.

 

Kein geringerer als Netstals bekannter Lehrer und Schriftsteller Florian Riffel schrieb in seinem Büchlein "Florians Zigermandlisalat“ treffend über den "Oh Süss“: Wenn er zum Beispiel auf der Alp im Morgengrauen aus dem Heu kroch, über die Leiter vom Tril herunterstieg und vor die Hütte trat – und selbst wenn es draussen wie aus Kübeln goss oder „Bäckertschööpen“ schneite – Köbi zog lachend die Hosen hoch und rief: „Oh süss!“ Wenn ihm in der kälteren Jahreszeit beim Fällen ein armdicker Ast über den Schädel schlug, rieb er sich die Schrammen und Beulen und stöhnte philosophisch: „Oh süss…!“ Und wenn sich seine Saufkumpanen in der Wirtschaft zu später Stunde am Kragen nahmen, in balgenden Haufen zur Türe hinaus kollerten, selbst wenn sogar Blut floss, krähte er mit seiner gellenden Stimme: „Oh süss…!“. Mit demselben Ausruf quittierte er alljährlich den Empfang des Steuerzettels.

 

Einmal gesellte ich mich im Raben zum „Oh Süess“. Irgendwie wirkte er auf mich bedrückt und nachdenklich. Man war das von ihm gar nicht gewohnt und auf die Frage, was ihn denn so sauer aufliege, sagte er ziemlich aufgebracht: „De huere Schelmechaibe!“ Für einmal war der „Oh Süss“ wirklich sauer. Er muss bemerkt haben, dass ihm Holzdiebe Spälten und Bürdeli klauten. Er lauerte diesen lange vergeblich auf. Und eines Nachts überraschte ihn im Finstern das Unheil. Er stürzte in den Langgüetlikanal und wurde jäh aus diesem Dasein abberufen. „Oh Süess“ ruhe in Frieden!"