Sittten und Bräuche - Jugenderinnerungen

"Chlausnen" und Betteln

Von Hans Speck

 

Schon im Vorfeld der Chlaustage in Netstal malten und kreierten Netstaler Schüler eigens für diese Events pittoreske Plakate, die wenige Wochen und Tage zuvor in Schaufenstern, Plakatwänden, ja sogar in Restaurants aufgehängt wurden. Die Chlaustage wurden immer in der ersten Dezemberwoche durchgeführt. Die Buben im Dorf waren in dieser Zeit eifrig darum bemüht, bei den einheimischen Bauern die grössten Kuhglocken zu ergattern. Die begehrtesten waren natürlich die riesigen Vorschellen, die nur die grössten und stärksten Schüler tragen konnten. Mit Stolz präsentierten sich diese jeweils an der Spitze des Umzugs. Gleich im Anschluss folgten die Buben mit den etwas kleineren Glocken; Singschellen und "Chlopfen“ waren dabei vorherrschend. Dazu reihten sich Buben mit Kuhhörnern, welche mit eigenartigen, sonoren und durchdringenden Tönen dem Umzug etwas Mystisches gaben. Auch ich gehörte in diese Kategorie. Und ich gebe es zu, ich war sogar richtig stolz auf mein Kuhhorn, welches ich wenige Wochen zuvor nach dem Metzgen einer Kuh vom Schaag Kamm gratis und franko erhalten hatte. Walter Brühlmann, zuständig für die feinen Würste beim Kamm, kochte mir dieses sogar freundlicherweise in einem der grossen Töpfe, in denen die Würste jeweils erwellt wurden, aus.

 

Strenge Rangordnung

So versammelten sich die Netstaler Schüler gleich am ersten Chlaustag kurz vor 17.30 Uhr vor dem Primarschulhausplatz bei der Bäckerei von Alfred Häni. An der Spitze des Umzugs wie schon erwähnt die Vorschellen, im Anschluss einige verkleidete Schmutzlis sowie Samichläuse in allen Sorten, gleich dahinter grosse und kleine Singschellen, Geissenglöckli, Kuhhörner und ganz am Schluss die Mädchen und Kindergärtner, vielfach begleitet von ihren Eltern, mit ihren Lampions. Damals gab es noch keine so tollen von Primarschülern gebastelte Laternen wie heute.

 

 

Betteln gehörte zum Brauchtum

Schon immer gehörte das "Chlausnen“ und Betteln in unserem Dorf zu einem der Bräuche, welcher von der Bevölkerung über Jahrzehnte hinweg gehätschelt und gepflegt wurde. Waren es früher die Sekundarlehrer Alfred Zuberbühler und Albert Sieber mit ihren Schülern, die für die Organisation des Chlausumzuges zuständig waren, ist es heute der Verkehrsverein Netstal, der für diesen bis über die Kantonsgrenzen hinaus bekannten und beliebten Vorweihnachtsevent verantwortlich zeichnet. Trotzdem hat sich in den vergangenen Jahren viel geändert. Vor allem das Betteln ist aus der Mode gekommen. Betteln war damals eine Domäne der Buben, Mädchen hatten da absolut nichts zu suchen. Gebettelt wurde sowohl während als auch nach dem Umzug bei den sogenannten "Herrenleuten“, unter anderem bei den Fabrikantenfamilien von alt Gemeindepräsident Gabi Spälty und Unternehmer Richi Sauter im Oberdorf, bei alt Gemeindepräsident und Fabrikant Konrad Auer im Ennetbach, bei Fabrikant Dr. Alfred Stöckli im Mitteldorf und weiteren Geschäftsleuten. Alle Erwähnten zeigten sich jeweils sehr grosszügig gegenüber uns Schülern. Dass im Areal der Villen jeweils alles in geordneten Bahnen ablief, dafür sorgten die Sekundarschüler von Lehrer Zuberbühler und Lehrer Sieber. Das Betteln nach dem Umzug war dann jedem Umzugsteilnehmer überlassen. Meistens geschah das in kleinen Gruppen. Die "Opfer“, in unserem Falle waren jeweils die Bäckerei Läderach bei der Katholischen Kirche, die Bäckerei Villiger im Oberdorf, Trudi Schmitz von der Salzwaage, die wir Kinder liebevoll Tante "Schuggi“ nannten. Aber auch die Konditorei Staub wurde nicht verschont sowie das Kolonialwarengeschäft von Walter Beeler an der Ennetbachstrasse. Beliebte Ziele waren aber auch die örtlichen Metzgereien, wie jene von Jakob Kamm beim Restaurant Salmen, Sepp Zimmerli an der Bahnhofstrasse, Fritz Kamm beim Bären und Jakob Weber, von uns "Wurschtli“ genannt, an der Hauptstrasse. Sogar die Restaurants in Netstal wurden "zur Kasse“ gebeten. Das Vorgehen der kleinen Nervensägen war immer das gleiche: Da versammelten sich die Bettler-Gruppen jeweils vor den Toren und Türen der Geschäftsleute. Kaum dort angekommen, brach auf ein vereinbartes Zeichen des Gruppenführers hin buchstäblich die Hölle los. Da wurde losgebimmelt, in die Kuhhörner geblasen und gelärmt, was das Zeug hielt, ununterbrochen und so lange, bis es endlich dem Ladenbesitzer zu bunt wurde und er sich endlich der unerbittlichen Bettler-Gesellschaft stellte und diese mit einem Bürli, einer Mini-Servela, Chrämlis, Mandarinen oder Spanischen Nüssli abspeisen konnte. Und schon ging‘s zum nächsten Opfer. Nachdem dann alle Ladenbesitzer und Geschäfte im wahrsten Sinne des Wortes "abgeklopft“ waren und sich der Bettelsack pumpenvoll zeigte, erst dann machte man sich auf den Heimweg und gar manchmal gab‘s eine deftige Schelte der Eltern, weil man wegen dieser Bettelei zu spät nach Hause kam.