Zur Geschichte der Bachgenossen Netstal

 

Der Dorfbach als wichtiger Lebensnerv

Von Hans Speck

 

Vorbemerkung:

 

Jeder Dorfbach ist zu einem gewissen Teil Lebensnerv einer Gemeinde. Wasser kann zu energetischen und anderen Zwecken genutzt werden. Jedes fliessende Gewässer bedeutet auch Lebensqualität, sei es durch die Schönheit der Wasserbewegung oder sei es durch das beruhigende Fliesswassergeräusch. In der Periode der grossen Kraftwerkbauten der Schweiz trat die Energienutzung mittels Wasserrad und Transmission und anschliessend duch Kleinturbinen in den Hintergrund. Der Kraftwerkbau machte die Energieerzeugung im untersten Generatoren-Bereich zu einem mehr und mehr interessanten Geschäft. Eine Trendwende trat eigentlich erst in den letzten Jahren ein, als die Wasserkraft als saubere Energie einen noch höheren Stellenwert bekam. Es wurde mehr und mehr klar, dass unsere kleinen Gewässer ein über Mini-Kraftwerke nutzbares Energiepotential anbieten, welches nicht zu unterschätzen ist. Diese Entwicklung wertete die Bachgenossenschaft wieder auf. Heute würde wohl kaum noch jemand dafür plädieren, den Dorfbach in Netstal aufzuheben. Kleinkraftwerke sind wieder aktuell, auch am Netstaler Dorfbach. Zudem bietet der Dorfbach der Feuerwehr und auch dem Zivilschutz eine bedeutungsvolle Löschwasserreserve. Diese Tatsache wurde anlässlich des Grossbrandes vom 18. Juli 1989 bei der Firma Stöckli AG schlagartig wieder in Erinnerung gerufen. 

 

 

Die Bachgenossenschaft Netstal

 Um die bewegte Geschichte der Bachgenossen aufzuzeichnen, muss man das Rad der Zeit bis ins Jahr 1726 zurückdrehen.

 

Zur Vorgeschichte:

  Ein Bericht aus dem Jahre 1503 lässt vermuten, dass das Wasser des Löntsch um jene Zeit noch nicht ins Dorf Netstal geleitet wurde, denn sonst hätte der im folgenden Bericht erwähnte Meister seine kunstvolle Säge eher an seinem Wohnsitz als in der Seerüti im Klöntal eingerichtet. In diesem Bericht erzählt Fridolin Bäldi in der von ihm geschrieben Chronik von einem geschickten Meister, der am Kreuzbühl wohnte:

 

«Der hat ein Sagen gemacht, die selbst an- und abschluog, die hat er mit seiner Kunst erdacht und selbstgemacht, und wann er ein Trämel uffschluog, so ging er darvon unz (aus) biz usgesaget war. Diese Sagen war in Seerüth».

 

Wahrscheinlich erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts wurden, dem «Wydeli» gegenüber, eine Wuhrtanne und eine Falle im Flusse angebracht, und das Wasser in einem tiefen Graben zum Kreuzbühl hinab und unter dem Gämplisweg in die Linth geleitet. Das war der sogenannte untere Mühlbach.

 

Die Gründung der Bachgenossenschaft

Bis zum Jahre 1726 hatten sich am unteren Mühlbach schon mehrere Gewerbe niedergelassen, deren Inhaber nun eine Bachgenossenschaft bildeten. Als ihnen der Löntsch Falle und Wuhrtanne wegriss, bewilligte ihnen der Tagwen Holz und Mannschaft zur Wiederherstellung unter der Bedingung, dass alle Tagwensleute sich des Baches nach Notwendigkeit bedienen durften. Nur wer ein neues Gewirbe bauen wolle, müsse sich zuvor mit den Gewirbsleuten verständigen. So steht es in der «Geschichte der Gemeinde Netstal» in der Ausgabe von 1922 geschrieben.

 

Der Löntsch war immer wieder ein Problem

Die Wasserkraft des Löntsch und damit die des Dorfbache war sehr ungleich, je nach Witterung und Jahreszeit. Von der Kilbi bis zur Näfelser Fahrt herrschte oft Wassermangel. Von Riedern weg war das Bachbett ein bis zwei Monate lang fast ganz trocken. Die Wassermenge konnte auf 169 Sekundenliter herabsinken, so dass die Gewirbe am Dorfbach stillstanden. Auch hatten sie oft Mühe wegen Eisgang ihren Betrieb aufrecht zu erhalten. Etwas besser wurde der Zufluss vor allem im Winter als der Inhaber der Spinnerei Spälty 1856 – 1859 einen Kanal erstellen liess, welcher das Wasser aus dem Klöntalersee beim Güntlenau fasste und in den Löntsch führte, wodurch der See um 45 Zentimeter gesenkt werden konnte. Diese durch den Spältykanal geschaffenen Reserven ermöglichten es, dass man auch im Winter täglich die Maschinen laufen lassen konnte.

 

Da es immer mehr Firmen gab, die das Wasser am Netstaler Dorfbach nutzten, liessen diese, 1892 zur 2. Löntschkorporation zusammengeschlossenen 18 Firmen, zwischen 1895 und 1898 einen 790 m langen Kanal durch den Sackberg bauen. Dadurch konnten alle Betriebe, sogar solche in Mollis, das ganze Jahr mit Wasser versorgt werden. Heute noch nennt man diesen Kanal, in Anlehnung an das Bauwerk in Mittelamerika, «Panamakanal». Bei tiefem Wasserstand im Klöntalersee sind beide Kanäle gut sichtbar.

 

(Link zum «Panamalkanal und Spältykanal»)

 

Im Jahre 1663 war die zweite Wasserleite oder der obere Mühlibach entstanden. Dieser setzte unter der Löntschbrücke an, und mündete dem «Wydeli» gegenüber, wie heute noch sichtbar, in die Linth. Hier siedelten sich eine Mühle, eine Säge und eine Gerbe an. Als im Jahre1764 der Löntsch den Gewirben wieder grossen Schaden zufügte, einigten sich die zwei oberen und die vier unteren Bachgenossen auf den Bau einer einzigen Wuhrtanne, einerseits der Kosten wegen und andrerseits, weil es für den Tagwen sicherer sei. Die beiden Bäche wurden durch ein Mittelstück verbunden und zum heute noch bestehenden Dorfbach erweitert.

 

Der Tagwen trat 1784 dieser Vereinigung der Bachgenossen bei. Er übernahm einen Drittel der Kosten für Wuhrtanne, Falle und und Vorwand, und erhielt einen Drittel der Gebühren bei Wasserrechtsverkäufen. Das Verfügungsrecht über den Dorfbach sollte den Bachgenossen zustehen, welche Befugnis ihnen 1869 in einem Prozess mit dem Tagwen neuerdings bestätigt wurde. Die Geschäfte der Genossenschaft leitet seit alters her der Bachvogt.

 

Höhen und Tiefen im 18. und 19. Jahrhundert

Über die Höhen und Tiefen der Bachgenossenschaft im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts und im 19.Jahrhundert geben zahlreiche Protokolle und Abschriften von Prozessakten Auskunft. Wiederholt wurde über Wasserrechtsfragen debattiert und auch gestritten. Im «Goldenen Buch» der Genossenschaft können diese Händel (Vergleiche, Urteile, Abkommen usw.), zwar nicht lückenlos, in alter deutscher Handschrift nachgelesen werden. Ab 1897 bis zur Gegenwart sind die Protokolle über die Versammlungen der Bachgenossen lückenlos vorhanden. Hauptthemen waren immer wieder Reparatur-Kostenfragen am Wuhr, im Löntsch und an den Fallen. Immer wieder gab natürlich auch die Wasserführung zu reden.

 

Im Jahre 1994 wurde das Fondel-Wasserrecht an die Gemeinde veräussert, zusammen mit zwei halben Wasserrechten der Firmen A. & J. Stöckli AG und der Zigerfarbrik Hösli sowie mit dem Wasserrecht der ehemaligen Zigerfabrik Spälty. Die Gemeinde Netstal konnte somit ein Gefälle von 5,5 Metern nutzen und mittels Rohrturbine eine Turbinenleistung von zirka 75 Kilowatt gewinnen. Am März 1995 konnte die Gemeinde Netstal ihr neues Kanalkraftwerk feierlich einweihen

 

Die Bachgenossenschaft heute

Bis auf den heutigen Tag und auch in Zukunft sind die Bachgenossen Netstal für den Unterhalt des Dorfbaches zuständig. Die Bachgenossenschaft Netstal ist also, Unkenrufen zum Trotz, immer noch operativ tätig. Einmal im Jahr treffen sie sich zur Generalversammlung. Diese wird jeweils geleitet vom heutigen Bachvogt Heinrich Weber, Mitarbeiter der Firma A. J. Stöckli AG. Anfangs der 40iger-Jahre stellte sich die Frage, ob die Gemeinden Netstal gemäss Vertrag von 1784 immer noch verpflichtet sei, ein Drittel an die Kosten eines neuen Wehrs zu bezahlen. Die Gemeinde wollte sich dieser Pflicht entziehen. Obwohl in den vergangenen Jahren einige Turbinen entlang des Dorfbachs abgebrochen worden waren, blieben die Wasserrechte der betreffenden Betreiber bestehen, ausgenommen, wenn diese Rechte an andere Bachgenossen abgetreten wurden. Heute sind es nur noch drei Betriebe, welche die Wasserkraft des Dorfbaches nutzen. In Betrieb sind noch das Kraftwerk bei der ehemaligen Maschinenfabrik und Giesserei, welches der Gemeinde Netstal gehört, sowie jenes bei der Oberen Papierfabrik und jenes bei der Firma Stöckli.

 

Link: Bilder zum Dorfbach

 

 

 

 

 

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