Der Löntsch - immer wieder eine Gefahr

 Von Hans Speck

 

Die Geschichte des Löntsch

Der Glärnisch-Bergsturz hatte vor rund 50`000 Jahren die Gewässer des Klöntals aufgestaut. Ob der See schon vorhanden war, als nach der letzten Eiszeit ein zweiter mächtiger Sturz vom Deyenstock das Landschaftsbild nochmals veränderte, ist ungewiss. Man sieht den Abriss noch heute als flache, muldenförmige Felsnische östlich des Deyenstockes, man nennt diese auch „Planggen“. Der Deyenstock-Bergsturz staute den Klöntaler See und schuf damit ein Wasserreservoir, das von der Netstaler Industrie von Anfang an genutzt wurde. Der ursprüngliche Seespiegel lag damals etwa 35 Meter höher als der jetzige, künstlich gestaute. Der damalige Klöntaler See war etwa 90 Meter tief und reichte bis zum Timmerwald.

 

Der Löntsch floss einst durch Glarus

Im Laufe der Jahrtausende grub sich der Löntsch eine tiefe Rinne durch die Schuttberge. Riesige Murgänge setzten anschliessend grosse Trümmermassen talauswärts in Bewegung, die einen Schuttkegel aufbauten, der von der Glarner Allmeind bis nach Glarus reichte. So bildete sich in Glarus ein erster See. Deshalb suchte sich der Löntsch vor etwa 12‘000 Jahren einen neuen Lauf. Anfänglich floss er über die Bärschirüti und die Neue Allmeind gegen Glarus, später über das Buchholz der Linth zu. Dabei schüttete er das mitgerissene Bergsturzmaterial zum mächtigen Schwemmfächer auf, der vom Burghügel bei Glarus bis zum Bahnhof Netstal reicht und auf dem ein grosser Teil unseres Dorfes steht.  Einmal aber durchbrach der Löntsch bei der Bärschirüti sein linkes Ufer und schuf sich über das Kohlgrüebli und durch Riedern einen neuen Lauf, der ungefähr dem heutigen entspricht.

 

Ursprung des Namens „Löntsch“

Der Name der Linth und des Löntsch haben gallischen oder keltischen Ursprung. Die Linth hiess anfänglich „linta“ oder „lenta“, was so viel wie geschmeidig oder biegsam bedeutet. Auch das andere Gewässer, das den Siedlungsraum Netstal begrenzte, der Löntsch, erhielt seine Bezeichnung wahrscheinlich von den Kelten, die den weiss schäumenden Bach „leunetia“ = „die weisse Frau“ nannten. Nach den Glaubensvorstellungen der Kelten lebte eine Göttin in Quellen, Bächen und Bergwildnissen.

 

Immer wieder Hochwasser

Die Chroniken erzählen davon, dass die Einwohner von Netstal wegen des Löntsch immer wieder bange Stunden und Tage erlebten, so auch im Jahre 1460 oder im Sommer 1519, wo die Linth alle Brücken im Mittelland wegriss. Im Jahre 1566 fügte die Linth der alten Strasse am Schlatt schweren Schaden zu, so dass Netstal um die Hilfe des Landes bat, um diesen wieder beheben zu können.

Das 17. Jahrhundert war kein Deut besser als das vorangegangene. So steht in den Geschichtsanalen geschrieben: Den 13. Juli 1625 aber ist ein solch ungestüm Wetter eingebrochen, dass jedermann vermeint, der Jüngste Tag seye vorhanden. Die darby angeloffene Runsen oder Wald-Wasser haben gantze Ställe weggetragen, verschiedene Wiesen und Felder undergelegt und grossen Schaden in diesem Lande verursachet. Die Löntsch-Brücke wurde derart in Mitleidenschaft gezogen, dass ein Neubau ernstlich erwogen wurde. Im Brachmonat im Jahre 1629 waren die Wasser wieder ungemein gross. Sie reichten mannstief bei Näfels von einem Berg zum andern, und der Löntsch zerstörte einen Teil des Dorfes.

Ausserordentlich zahlreich sind die Berichte über Hochwasser im 18. Jahrhundert. Die rücksichtslose, durch keine Forstgesetze geregelte Nutzung der Wälder, die längst in eine Raubwirtschaft ausgeartet war, brachte viel Unheil über das Land. Es war die Rache der misshandelten Natur. Das Unglück rührte her vom Mangel an zweckmässiger Ordnung für Holz- und Wasserbau. Die schnell zunehmende Bevölkerung vermehrte die Bedürfnisse an Brenn- und Bauholz, und der Holzverbrauch von Fabriken wurde immer grösser. Aus unserer Gemeinde finden sich zahlreiche Angaben über Wasserschäden in dieser Zeit. Am 9. und 20. Herbstmonat 1726 wurde die sogenannte untere Netstaler Brücke durch Hochwasser beschädigt und den Gewirbsleuten die untere Falle im Löntschen weggerissen. In Netstal und Glarus wurde damals Sturm geläutet, denn die Wasser des Klöntaler Sees wälzten sich in hohen Fluten heraus, so dass das ganze Dorf bedroht war und nur mit Hilfe der anderen Gemeinden gerettet werden konnte. Die Überschwemmung des Jahres 1732 gab Anlass zu einem Abkommen zwischen Netstal und Näfels über die Wuhren an der Linth. Die Frage wurde gütlich geregelt: In Betrachtung, dass unsere beiderseits lieber Forderungen gegeneinander niehmalen in Zankh und Rechtshändlen gestanden. Ein ähnliches Abkommen bestand seit dem Jahre 1703 mit Mollis wegen den Wuhren im „Mullerholz“. Ende Brachmonat 1750 schob der Löntsch schwarze Massen von Erde und Steinen aus seiner Schlucht hervor. Die Fluten erschienen in Netstal gewöhnlich einen Tag später als diejenigen der Linth, weil sie sich erst langsam durch das enge, felsige Tobel herausarbeiten mussten. Fridolin Freuler in Netstal erlitt damals einen Wasserschaden von 50 Gulden. Fünf Jahre später, im August, klagten die Gewirbsleute, wie ihnen durch Gottesgwalt und grosser Löntsche die Wuhrtanne zerstört worden und dass sie ohne die Hilfe des Tagwens ausserstande seien, sie wiederherzustellen. Der Tagwen bewilligte ihnen hierauf 30 – 40 Mann und ebenso viele Tanntschuppen, jedoch aus keiner Schuldigkeit oder Recht, sondern Gutmütigkeit. Am 30. Brachmonat 1762 ergoss sich eine unerhörte Wasserflut über das Land. Netstall hatte gar ein erbärmlich Schicksal; der wilde Löntsch hatte einige Häuser unterhalb der Brücke bis an alle Spuhr weggeschwemmt, noch mehrerer unbewohnbar gemacht, und brausete durch das Dorf (beim Kreuzbühl) hinab. Die Evangelische Kirche, die auf einer sichern Anhöhe, ware nebst Ställen einige Tage vieler Familien und ihres Hausrathes Aufenthalt.

An Pfingsten vom 10. auf dem 11. Juni 1764 wiederholte sich die furchtbare Wassernot. Durch einen vierzig Stunden anhaltenden Regen schwollen alle Flüsse und Bäche zu einer unheimlichen Höhe an. Der Löntsch wälzte seine schlammigen Fluten mitten durchs Dorf. Nur mit grosser Mühe konnte das katholische Rathaus vor dem Einsturz bewährt werden; neun Wohnhäuser wurden zerstört und die Katholische Kirche innen und aussen stark beschädigt. Von der gewölbten Löntschbrücke sah man bald keine Spur mehr. Das Dorf schien dem Untergange nahe zu sein. Im Ennetbach bis hinab zur Linthbrücke war wieder viel Land verloren. Die untere und die oberer Wasserleite zu den Gewirben waren ebenfalls zerstört; die verdienstbringenden Räderstanden standen still. Das Jahr 1779 brachte gar zwei Hochwasser: am 30. Oktober und am 7. Dezember standen die Männer am Löntsch und an der Linth Wache. Die Wuhre erlitten grossen Schaden und mussten im folgenden Winter ausgebessert und verstärkt werden. Dabei wurde der Löntsch „bestmöglich in die Gräde genommen“ und mit festen Steinwuhren eingedämmt, wobei es allerdings viele Prozesse zwischen dem Tagwen und den Anstössern absetzte. Die Wachen mussten auch im Oktober 1789 aufgeboten werden, als der Löntsch zwei Flötzergesellschaften 250 Klafter Holz wegspülte. Am 16./17. Heumonat 1775 arbeiteten im „grossen Wasser“ an den Wuhren 244 Mann. Netstal durfte in dieser schweren Zeit auf Hilfe und Unterstützung aus der Bevölkerung zählen.

 

Das Jahrhundert-Unwetter im Jahr 2005

Das letzte grössere Ereignis im Zusammenhang mit dem Löntsch ereignete sich beim Jahrhundert-Unwetter vom Dienstag, 22. bis 24. August 2005. Der Schreibende hat in seiner Chronik über 100 Jahre Feuerwehr Netstal ausführlich darüber berichtet. So verbreitete der Löntsch immer wieder Angst und Schrecken unter der Bevölkerung von Netstal. Das hatte damals auch einen wesentlichen Einfluss auf die Besiedelung in den Weilern Leuzingen, Löntschen und vor allem Netstal.

Heute ist der Löntsch nach den letzten Ereignissen im Jahr 2005 nach den neuesten Erkenntnissen der Ingenieurkunst und Technik gegen Überschwemmungen bestmöglich abgesichert. Man hat die Sicherheits-Marke des Seestandes heruntergesetzt und die Axpo ist verpflichtet, beim Übersteigen dieser Marke Wasser dosiert abzulassen. Natürlich kann der Löntsch anschwellen, wenn die Axpo Wasser turbiniert. Dieses Wasser kommt dann aber gemächlich, weil ja die Turbinen langsam hochgefahren werden. Ausserdem wurde am Löntschufer ein durchgehender Maschendrahtzaun errichtet und zusätzlich installierte man entsprechende Hinweistafeln, die auf ein plötzliches Anschwellen des Löntsch hinweisen. Trotzdem, ein Restrisiko wird auch in Zukunft bleiben. Eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Sieger wird immer die Natur bleiben, perfekte Verbauungen und Sicherheitsmassnahmen hin oder her.

 

Der Löntsch und Ich

Der Löntsch hatte für mich schon immer eine spezielle Bedeutung. Zweimal erlebte ich diesen sonst harmlosen Bach, Abfluss des Klöntaler Sees und zahlreicher Runsen, von der zerstörerischen Seite. Einmal war es die Überschwemmung vom 22. – 24. August 2005, bei der Anwohner des Löntsch evakuiert werden mussten, und das Wehr bei der Löntschbrücke und die Uferböschung auf der linken Seite des Löntsch von den Fluten einfach weggerissen wurde. Dieses Ereignis bleibt der Netstaler Bevölkerung nachhaltig in Erinnerung. Dank einem hervorragenden mehrtägigen Einsatz der Feuerwehr Netstal konnte Schlimmeres verhütet und der Löntsch in seine Schranken gewiesen werden. Über diesen Einsatz haben wir auf dieser Homepage unter „Das Jahrhundert-Unwetter““ in der Rubrik „Naturgewalten/Schadenereignisse“ eingehend berichtet.

Beim zweiten Mal forderte der Löntsch bei einem schrecklich tragischen Unfall am 26. April 1957 leider auch Todesopfer. Zwei Buben aus dem Mattquartier fuhren mit einem „Leiteräwägeli“ in den hochgehenden Löntsch und hatten keine Chance, aus den reissenden Fluten des Löntsch gerettet zu werden. Einer der beiden war der Sohn des späteren Gemeindepräsidenten und Besitzers der Kalkfabrik, der andere war der Sohn des Mitbesitzers der Zahnräderfabrik. Noch am gleichen Tag konnte der eine der Knaben bei der Molliser Linthbrücke aus den Fluten gezogen werden, den anderen fand man erst Tage später beim alten Wuhr, wo Löntsch und Linth aufeinandertreffen. Eine Geschichte, die mich bis zum heutigen Tag beschäftigt, hatte ich beide Buben doch sehr gut gekannt und mit ihnen und meinem Freund Urs damals gemeinsam mit ihnen gespielt.

 

Quellenangabe:

Geschichte der Gemeinde Netstal von Paul und Hans Thürer, Ausgabe 1963

Chronik „100 Jahre Feuerwehr Netstal“ von Hans Speck, Ausgabe 2006

Ausflug in die Glarner Geologie von Mark Feldmann (Baeschlin Verlag), Ausgabe 2016

 

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Weitere Bilder zum Löntsch hier.

 

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