Sagen und Bräuche

Netstals Geissgasse und das Ross ohne Kopf

Aus einer Zeichnung von Fritz Weber-Worni
Aus einer Zeichnung von Fritz Weber-Worni

von Hans Speck

Netstal bestand früher aus den drei Genossamen “Leuzingen“ (südlich des Löntsch gegen Glarus), "Löntschen“ (südlich der Geissgasse bis gegen den Grundkopf) und "Dorf“ (nördlich der Geissgasse und beidseits der Landstrasse bis unterhalb des Bühls). Im Laufe der Jahrhunderte wuchsen diese drei Weiler zum Dorf Netstal zusammen. So gesehen bildete die Geissgasse eine Grenzlinie zwischen Netstal Süd und Netstal Nord. Mit der Geissgasse verbindet mich auch ein Stück Familiengeschichte. So wohnten meine Eltern in den 30er-Jahren für einige Jahre im rechten Flügel des markanten Wohnhauses, welches zur Geissgasse Richtung Hintere Allmeind führt. Der Namen "Geissgasse“ dürfte daher stammen, weil der Netstaler Geisshirte, unter der Bevölkerung als "Hoioh“ bekannt, jeweils seine Ziegenherde vom Sammelplatz beim Rothaus über die Landstrasse in die Güter am Fusse des Wiggis führte.

 

Das Ross ohne Kopf

Zur Netstaler Geissgasse gibt es aber auch eine Sage. So soll bisweilen in grauen Novembernächten ein Ross, von dem heute fast niemand mehr spricht, weil es nur noch selten gesehen wird, in der Geissgasse herum rumoren. Zu Urgrossvaterszeiten aber soll das eine häufige Erscheinung gewesen sein, die übereinstimmend als ein knochiger Schimmel mit langem Schweif, aber ohne Kopf, geschildert wurde. Der Schimmel trabt zwischen Mitternacht und dem ersten Stundenschlag vom Wiggis her in das Dorf. In der Geissgasse wühlt dieser die "Bollen“ im Wege auf und drückt den Bauern die Lattenzäune um. Im Erdgeschoss der Häuser vernimmt man jeweils ein sonderbares Geräusch, genau so, als ob jemand draussen an der Fensterläden reibt und scharrt. Oft werden auch die Läden auch aus den Angeln gehoben und weggeschleudert. Dann ist es nicht ratsam, das Haus zu verlassen. Man muss zuwarten, bis der Schimmel ausgetobt hat und wieder durch die Plänklirunse an seinen Ruheplatz zurückkehrt. Dieser soll irgendwo oberhalb der "Mugiweid“ in der "Stotzigwald-Risi“ sein.