Ich ha e eim uff d'Schurre gii!

Von Hans Speck

Der unvergessliche Netstaler Schulmeister Florian Riffel, ein waschechter Bündner – das hörte man zeitlebens an seinem unverfälschten Dialekt – war einer meiner Lieblingslehrer. Das mag daran gelegen haben, dass Deutsch schon immer mein Lieblingsfach war und er uns Schülern den Stoff interessant und leicht verständlich vermitteln konnte. Nebenbei betätigte sich Lehrer Riffel als Schriftsteller und schrieb als nebenamtlicher Redaktor für diverse Printmedien in- und ausserhalb des Kantons. Was mich zusätzlich bei „Flöri“ - so nannten wir unseren Deutschpauker – faszinierte, war sein unglaubliches Talent als Geschichtenerzähler. Die meisten dieser Geschichten waren von ihm frei erfunden. Ich erinnere mich gerne an die spannenden Geschichten vom „Täfäli“, aber auch an die kernigen Witze vom „Schorsch Gaggo“. Ich freute mich tatsächlich auf die Schulstunden mit unserem „Flöri“. Nun stand ich kurz vor der Aufnahmeprüfung in die Klosterschule in Näfels. Doch ein Malheur, wie es eben nur mir passieren konnte, liess dieses Vorhaben beinahe scheitern. Was war geschehen? Der Winter 1964 machte sich langsam daran, sich zu verabschieden. Es lag immer noch sehr viel Schnee im Dorf. Die Dorfbrunnen waren mit einer dicken Eisschicht überzogen. Das reizte uns Buben, die Tragfähigkeit dieser Minieisfelder zu testen. Der Brunnen bei der alten Post stand in unserem von uns gut behüteten Revier; und keiner sollte es wagen, in dieses einzudringen. Der Postbrunnen war definitiv unser Besitz! Trotzdem gelang es eines schönen Tages einem unerwünschten Eindringling, namens Angelo, unsere Vorherrschaft zu durchbrechen. Nebst unbewilligten Versuchen, auf „unserem Brunnen“ herum zu „schlifere“, versuchte der Bruder eines Schulfreundes mit einer Eisenstange und brachialer Gewalt das Eis aufzubrechen. Das Vorgehen dieses Lümmels ging für mich eindeutig zu weit. Nach mehrmaligen Versuchen, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten, gingen bei mir alle Lichter aus und ich schlug dem Missetäter unvermittelt die Faust mitten ins Gesicht - mit gravierenden Folgen, wie sich kurze Zeit später herausstellte. Meine rechte Hand schwoll nämlich in kurzer Zeit gewaltig an und ein stechender Schmerz im Bereich des Zeigefingers liess nichts Gutes erahnen. Allerdings liess es mein Stolz nicht zu, diesen Schmerz auch nur andeutungsweise zu zeigen und ich stellte mich in Respekt erheischender Pose vor den „Anschi“, bei dem langsam, aber sicher, die Backe anfing, wie ein Berliner Pfannkuchen in der Pfanne aufzugehen. Etwas Eis aus dem Postbrunnen hätte in diesem Moment sicher geholfen und uns beiden etwas Linderung gebracht. Aber die Grenzen waren nach diesem Vorfall klar gesetzt und der Feind blies definitiv zum Rückzug. Damit war die Geschichte aber noch nicht am Ende, sondern fing eigentlich erst recht an. Florian Riffel schrieb darüber in seinem Büchlein „Florians Zigermanndlisalat“ eine wunderbare, amüsante Geschichte.

 

Lassen wir den lieben Florian doch einfach selbst erzählen:

Bei den Vätern Kapuzinern (von Florian Riffel)

Wieder einmal holperte ein Schuljahr mit Ach und Krach seinem Ende entgegen. Die Frühlingsferien standen in verlockender Aussicht vor der Türe. Nachher sollten aber die meisten Sechstklässler in eine höhere Schule überwechseln, in die Sekundar-, Handwerker-, Kantons- oder Klosterschule. Nur waren da leider vorher noch die Aufnahmeprüfungen zu bestehen, auf welche sie der Lehrer in den letzten Monaten gewissenhaft eintrainiert hatte. Hangen und bangen…!

Da stand eines Morgens – am Vorabend der Eintrittsprüfung in die Klosterschule der Schlingel Hans (Damit war eben ich gemeint und die Vorgeschichte kennen wir), ein angemeldeter Prüfling, mit tränenüberströmtem Gesicht vor seinem Lehrer. Die rechte Hand trug der Knabe eingegipst in einer Schlinge. „Nun kann ich ja nicht zum Examen antreten“, schluchzte er; da muss man ja sehr viel schreiben…“ „Tröste dich“, sprach der erfahrene Lehrer; die Sache scheint mir gar nicht so schlimm! Wir fahren heute Nachmittag gemeinsam nach Schulschluss nach Näfels, gehen ins Kloster und reden mit den Herren Kapuzinern; die haben noch keinen im Stich gelassen“. Getan wie gesagt. Schüler und Lehrer stiegen die steile Klostertreppe hinauf, zogen an der Schellenstrippe, und der Pater Pförtner führte sie ins Audienzzimmer. Wenig später erschien der Pater Raymund, ein kleiner weisshaariger Geistlicher, Präfekt und Rektor der Klosterschule Maria Burg in Näfels, Freundlich lächelnd liess er sich die tragische Geschichte schildern. „Das ist gar nicht so schlimm“, verkündete auch er. Bis zum Schulbeginn sind es noch 6 Wochen. In dieser Zeit wird der Bruch wohl ausgeheilt sein, wenn es soweit ist, meldest du dich telefonisch an; dann wirst du zu einer Einzelprüfung aufgeboten. Und wenn du, was ich hoffe, diese bestehst, kannst du mit den andern bei uns das neue Schuljahr beginnen“. Hans strahlte den grundgütigen Pater zerschmelzend dankbar an, bemühte sich heldenhaft, seiner Tränen Herr zu werden.

Ehe sich Lehrer und Schüler höflich empfahlen, fragte der geistliche Schulvorsteher besorgt: „Und wie ist das eigentlich geschehen, dass du die Hand gebrochen hast? Bist du so ein blindwütiger Holzscheiter, dass es zu einem Unfall kam“? Han würgte ein trotziges Nein heraus. „Oder bist du so ein kühner Skifahrer, dass es dich überschlagen hast“? Wieder bekam der Präfekt ein grimmiges Kopfschütteln zur Antwort. „Ja, wie ist es den zugegangen?“ wollte der unnachgiebige Frager mit väterlicher Anteilnahme wissen. Da nahm Hans seinen ganzen Mut zusammen und knirscht aufrichtig und ehrlich: „Ich ha halt e eim uff d`Schnurre gii!“ Der gute Pater Raimund erfasste den Unfallgrund nicht sogleich. So etwas war ihm noch nie vorgekommen. Hans bestand nach fünf Wochen die Aufnahmeprüfung in die Klosterschule in allen Ehren und wurde ein guter und fleissiger Klosterschüler.