Hebet si oder hebet si nüd?

Von Hans Speck

 

Die nachfolgende Geschichte ereignete sich an einem schulfreien Mittwochnachmittag. Wie gewohnt trafen wir uns auf dem nördlichen Kirchenplatz bei der katholischen Kirche. Treffpunkt war die Bäckerei-Konditorei von Ruedi Läderach. Mit uns meine ich meinen Spezialkumpel Urs, den Rathaus-Fred, den «Schäschägg» vom Staatskassier, den zwei Jahre älteren Fritz, genannt Poulet-Frigg, sowie den auswärtigen Willi vom Gässli-Quartier. Wieder einmal war eines unserer Schützenfeste im Hinterhof bei den Eltern von Kumpel Urs angesagt. Als Waffe benutzten wir wie immer das Bolzen-Gewehr von Rathaus-Fred. Zum Einschiessen befestigten wir mit Reissnägeln kleine Zielscheiben aus Karton in der Grösse von 15 x 15 Zentimeter an der Türe der Waschküchentüre der Mutter von Urs. Als Munition benutzten wir anfangs Bolzen. Diese dienten allerdings nur für kurze Distanzen. Bolzen sind kleine Metallspitzen mit kleinen farbigen Federn am Ende des Bolzens. Nachdem meine Freunde über eine Stunde lang auf die Scheibe geballert hatten, wurde uns diese Art von Schiessen etwas zu langweilig.

 

Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt zugleich...

Ich kann es heute kaum mehr glauben, dass ein solcher Vorfall tatsächlich geschehen konnte. Heutzutage würde in einem ähnlichen Fall die Polizei auffahren, Tierschützer würden auf die Barrikaden steigen und die Medien würden mit grossen Lettern berichten. Aber eben, gestern war vieles anders als heute und - nicht alles ist besser geworden.

Zurück zur Geschichte: Nach dem Munitionswechsel von Bolzen auf Bleikügeli strebten wir fünf im wahrsten Sinne des Wortes nach Höherem. Statt auf Scheiben zu schiessen, wurden Vögel unser Opfer. Schon bald flogen die ersten Vögel nicht himmelwärts, sondern bolzengerade im Sturzflug zu Boden. Die abgeschossenen Vögel wurden gleich im nahe gelegenen Garten vergraben.

 

…dieses war der zweite Streich, doch der dritte folgt zugleich!

Nachdem die Schiesserei auf die Vögel abgeschlossen war, hatte der älteste von uns, der Poulet-Frigg, die glanzvolle Idee, man könnte doch einmal die Durchschlagskraft eines Bleikügelchens prüfen und schauen, ob die Lederhose, die er gerade anhatte, das aushalte. Diesen Vorschlag unseres Kumpels betrachteten wir anderen als interessant und äusserst reizvoll. «Also, probieren wir es aus!», forderte unser Freund in Lederhosen uns auf. Ich nahm das Bolzen-Gewehr, hielt es direkt auf den rechten Oberschenkel meines Freundes und zögerte vorerst mit abdrücken. «Mach endlich vorwärts!», meinte der Poulet Frigg. Er hätte diesen Satz lieber bleiben lassen sollen. Ich drückte auf den Abzug - ein kurzer Klick und ein tierischer Aufschrei unseres Kumpels. Das kleine Bleikügelchen verfehlte seine Wirkung nicht. Nach einem glatten Durchschuss blieb das Projektil im Oberschenkel vom Poulet-Frigg stecken. Ich wusste, dass mein Kumpel ziemlich schnell auf den Füssen war, aber so schnell wie nach dem Einschuss wird er wohl nie mehr in seinem Leben gerannt sein. Trotzdem betrachteten wir diesen Test als sehr erfolgreich, denn wir fünf hatten mit diesem Test etwas dazu gelernt. Seither nämlich wissen wir: «Lederhosen sind nicht kugelsicher!»

 

 

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