Die 1698 erbaute Kirche wurde zu klein, weil die Einwohnerzahl von Netstal stark gestiegen war. Nach Plänen von Zimmermeister David und Leonhard Stüssi sowie Maurermeister Salomon Simmen begann man im Frühjahr 1811 mit dem Bau eines grösseren Gotteshauses. Am 31. Oktober 1813 fand die Einweihung statt.
Die Kirche ist eine Querkirche, deren Grundriss ein gestrecktes Achteck bildet. Der Haupteingang befindet sich in der Mitte der östlichen Längsseite. Auch im Innern ist die Querrichtung betont. So ist die Kanzel mitten an der westlichen Längswand angebracht. An der südlichen und nördlichen Schmalseite erhebt sich je eine Empore. Auf der südlichen Empore steht eine für ihren guten Klang bekannte Orgel der Firma Metzler von 1963.
Die Glocken der evangelisch-reformierten Kirche von Netstal
von Hanspeter Bolliger, bearb. von Fridolin Baumgartner
Zur Weihe der evangelischen Kirchgemeinde Netstal hat Pfarrer Arnold Hohl im Jahre 1899 ein Büchlein verfasst, in welchem er unter anderem die bewegte Geschichte der Glocken von Netstal schildert. Diese Publikation liegt der nachfolgende Glocken-Geschichte als Quelle zugrunde.
Das heutige Geläut der evangelisch-reformierten Kirche besteht aus vier Glocken, die 1899 von der Giesserei Rüetschi in Aarau gegossen wurden. Die beiden grossen Glocken befinden sich im unteren, die beiden kleinen im oberen Bereich des eisernen Glockenstuhls. Unmittelbar neben den beiden kleinen Glocken hängt noch eine fünfte. Es handelt sich um die «Spältiglocke», die aus verschiedenen Gründen derzeit nicht geläutet werden kann. Ihre Bezeichnung verdankt sie dem «Gesandten» Heinrich Spälti, dessen Name, zusammen mit den Namen anderer Honoratioren des Dorfes, als Inschrift auf der Glocke verewigt ist. Was hat es mit dieser Spältiglocke auf sich? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir ganz an den Anfang der Kirchengeschichte von Netstal gehen.
Die erste reformierte Kirche wurde 1698 eingeweiht. Das Geläut im Turmbestand aus zwei eher kleinen Glocken. Die grössere war die Spältiglocke. Gegossen wurden diese Glocken von Heinrich Weitnauer in Basel. Ein halbes Jahrhundert lang riefen die beiden Glocken die reformierten Netstaler zum Gottesdienst, bis in der Kirchgemeinde Stimmen laut wurden, die sich ein etwas volleres Geläut wünschten und sich für den Guss einer dritten, grösseren Glocke stark machten. So kam es, dass1748 eine grosse, etwas mehr als 500 kg schwere Glocke in den Turm hochgezogen und dem bestehenden zweistimmigen Geläut beigefügt wurde. Diese drei Glocken versahen weitere 63Jahre ihren Dienst, bis 1811die neue Kirche gebaut wurde. Als es um die Planung des Geläutes für die neue Kirche ging, zog man zuerst in Betracht, die drei alten Glocken in den neuen Turm zu übernehmen. Allerdings hatte sich im Laufe der Zeit herausgestellt, dass die Qualität der kleinen und der grossen Glocke zu wünschen übrigliess. Daher wurde beschlossen, dass einzig die Spältiglocke in den neuen Turm umziehen durfte, während die beiden anderen durch neue ersetzt werden sollten. Pfarrer Hohl schreibt in seiner Erinnerungsschrift: «Nicht nur war sie ja in ihrem Klang und Ton die beste der alten Glocken, sie musste auch auf Grund ihres Alters und im Besonderen des Umstandes, dass sie mit dem Taufstein das einzige Erbstück und Andenken an die alte Kirche war und also schon einmal den Wechsel eines neuen Geläutes überlebt hatte, besonderer Pietät seitens einer neuen Generation würdig sein.» 1813 wurde der Glockengiesser Johann-Heinrich Bär, Aarau, mit dem Guss zweier neuer Glocken beauftragt. Diese beiden Glocken gehörten wohl zu Bärs letzten Aufträgen, da er anfangs19.Jahrhundert den Betrieb an seine beiden Mitarbeiter Jakob und Sebastian Rüetschi verkaufte. Aber auch mit diesem neuen Geläut hatten die Netstaler kein Glück. Es war vor allem die grosse Glocke, welche Probleme machte. So kam es, dass man nach nur 86 Jahren bereits wieder mit dem Gedanken spielte, die beiden neueren Glocken zu ersetzen. Das schlechte Geläut war offenbar nicht nur in Netstal ein Thema. Landauf, landab ärgerte man sich über das Geläut. Dazu noch einmal Pfarrer Hohl: «In Anbetracht des schlechten Geläutes unserer Kirche, das auch landauf, landab als solches galt, war es begreiflich, dass schon bald wieder Gedanken und Wünsche nach einem schöneren aufkamen.
Legate
1886 vermachten der Spenglermeister Hilarius Leuzinger und eine Frau Spälty-Aebli der Kirche einen grösseren Betrag. Hilarius Leuzinger vermachte der Kirche Fr. 1000, Frau SpältiAebli-Aebli Fr. 600. Die beiden Beträge hätten heute einen Wert von 20'000, bzw. 12'000 Franken. Ausserdem meldeten sich unverhofft die Testamentvollstrecker des 1895 verstorbenen Joh. Jakob Spälty, genannt «Russländer» Spälty, der es als Käser in Russland zu Wohlstand gebracht hatte, seinen Lebensabend in Netstal verbrachte und einen grossen Teil seines Vermögens der Kirche vermachte.
Das neue Geläut
Aufgrund dieser Spenden wurde beschlossen, anstelle eines erneuten Glocken-Flickwerkes ein vollkommen neues, vierstimmiges Geläut samt einem Glockenstuhl anzuschaffen. Eine wichtige Frage, die es zu klären gab, war, welche Tonart die Glocken haben sollten. Man kam überein, die vier Glocken in B-Dur zu stimmen, um einen harmonischen Gesamtklang mit den Glocken der katholischen Kirche zu gewährleisten.
Mit dem Guss der vier Glocken wurde die Aarauer Giesserei Rüetschi betraut. Um auch die einheimische Industrie zu berücksichtigen, vergab man den Bau des eisernen Glockenstuhls an die Näfelser Firma Bosshard& Cie.
Der Glockenstuhl in der Netstaler Kirche
Am Dienstag, 25. April 1899 spät abends kamen die Glocken mit dem Zug in Netstal an. Am nächsten Morgen wurden sie auf zwei Fuhrwerke verladen und zuerst durchs Dorf gefahren. Pfarrer Hohl schreibt: «Um möglichst allen Leuten, also auch Kranken, Gebrechlichen oder sonstwie ans Haus Gebundenen Gelegenheit zu geben, die Glocken zu sehen, wurden sie durch die meisten Strassen des Dorfes, soweit es möglich war wegen des Wendens des Vierspänners, geführt, überall von der Bevölkerung mit Freude und Bewunderung ob ihrer Grösse und Schönheit begrüsst.»
Am Nachmittag versammelte sich das ganze Dorf auf dem Platz vor der Kirche. Pfarrer Hohl hielt eine Begrüssungsrede. Dann wurden die Glocken von der Schuljugend in den Turm hochgezogen und am darauffolgenden Sonntag, dem 30. April 1899, in einem festlichen Gottesdienst geweiht. Endlich hatte Netstal ein anständiges, vierstimmiges Geläut. Und die Spältiglocke? Sie fand zwar auch ihren Platz im eisernen Glockenstuhl. Allerdings passte sie klanglich nicht zu den anderen Glocken und wurde daher nur selten geläutet. Als das Geläut 1925 einen elektrischen Antrieb bekam, überging man sie. Um sie zu läuten, muss sie weiterhin mittels Seilzugs zum Schwingen gebracht werden.
Glockenweihe der neuen Glocken am 30. April 1899
Die fünf Glocken in der Übersicht:
«Kinderglocke»
Schlagton: b’
Gewicht: 459 kg
Inschrift: Selig sind die reinen Herzens sind!
«Abendglocke»
Schlagton: f’
Gewicht: 1'079 kg
Inschrift: Christus ist mein Leben
«Mittagsglocke»
Schlagton: d’
Gewicht: 1'850 kg
Inschrift: Danket dem Herrn, denn er ist freundlich
«Sonntags- und Festglocke»
Schlagton: b
Gewicht: 3'527 kg
Inschrift: Friede sei mit euch Jakob Spälti Russländer 1830–1895
Die vier Schlagtöne des Hauptgeläutes erzeugen einen B-Dur-Akkord. Das Motiv entspricht dem Kanon «Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang.» Der Stundenschlag verfügt über einen Doppel-Stundenschlag. Im Viertelstundenschlag sind die zwei kleinen, die b’ und die f’ – Glocken zu hören. Beim ersten Stundenschlag kommt die zweitgrösste, die d’-Glocke, bei der Repetition die grosse b-Glocke zum Zug. Das Schlagwerk wird immer noch über die alte Turmuhr ausgelöst, während das Geläut mittels Computer gesteuert wird.
Ein Youtube-Video zeigt das Gesamtgeläute in Aktion.
Der entsprechende Link: https://www.youtube.com/clip/Ugkx3CqU-xEeVy2AJWkOy1SXSgZPnpnsqObJ.
"Die Spältiglocke"
Giesserei Heinrich Weitnauer, Basel, 1698
Schlagton h’
Gewicht 430 kg
Inschrift: ICH RUOFF DIE LEIT ZSAMEN ZU HEREN GOTTES WORT GEBÄTTLEHR UND TROST DAS WEL DER HOECHSTEHORT HER GESA(N)DTEN HEINRICH SPÄLTI
HER CASPERKUBLI HERHEINRICH WÄBER HER IOHAN LITZIGER VERORDNETER BAVHER DER KIRCHEN ZU NETSTAL
Informationen zur Geschichte der Evang. Kirchgemeinde Netstal hier.
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