Sollte ich vielleicht Metzger werden?

Von Hans Speck

 

Die Metzgerei Kamm-Vogel war zu unserer Bubenzeit aus verschiedenen Gründen ein interessanter Treffpunkt. Erstens gehörte der Platz vor der Metzgerei Kamm in das Revier unserer Gang, zweitens hatte es dort einen Brunnen, in dem wir uns im Sommer abkühlen konnten, und drittens wohnten rund um diesen Platz Menschen, die gar oft Zielscheibe unseres Tuns und Handelns waren. So wohnte im Hause auf der Nordseite des Platzes beispielsweise, wie in einer meiner Geschichten schon erwähnt, die Frau Eleganti, eine kleine ältere Dame, die jedes Mal die Palme hochging, wenn wir am Brunnen herumtollten und unsere Spritzorgien feierten. Im gleichen Hause gleich nebenan wohnte der Schuhmacher Michel. Dieser betrieb im Erdgeschoss eine eigene Schuhmacherei. Schuhmacher Michel war ein kleiner, schaffiger Mann mit einer dankbaren Stammkundschaft. Nur mit seinem Nachbar schräg vi-à-vis, den wir den Bajazzo nannten, hatte er seine liebe Mühe. Wir Buben hatten vor Bajazzo, diesem grossgewachsenen Mann mit Händen wie Schneeschaufeln, einen Heidenrespekt, wenn nicht sogar zu sagen, richtig Angst. Südlich des Platzes war das Restaurant Salmen, Stammlokal meines Vaters, etwas zurückversetzt die Pension von Otto Eberhard, dessen Söhne ebenfalls mit uns befreundet waren und mit uns spielten. Die Zwillinge Fritz «Tschitsch» und Walter wurden in späteren Jahren beide Box-Schweizermeister im Leichtgewicht. Ihr Vater Otto war Koch in der Pension Eberhard und während vielen Jahren Trainer des Boxring Tödi, damals schweizweit eine der besten Boxerstaffeln, welche im Schützenhaussaal in Glarus jeweils ihre Wettkämpfe durchführten. Auf der Westseite der Metzgerei Kamm stand das Schlachthaus und davor war eine kleine Fläche, wo die Tiere auf ihre letzte Stunde warten mussten. Auf der Ostseite beim Brunnen war der Verkaufsladen, wo die Chefin Frau Kamm-Vogel gemeinsam mit ihrer Tochter Margrit und Lilly Leuzinger-Kamm den Laden schmissen.

Zurück zum Schlachthaus, wo wir Buben jeweils dem Schlachtprozess der Metzger zuschauten. Eigentlich sahen es unsere Eltern überhaupt nicht gerne, wenn wir das blutige Handwerk der Metzger mitverfolgten. Blut floss tatsächlich manchmal in Strömen, doch keiner der Metzger hat uns jemals aufgefordert, den Schlachthof zu verlassen oder uns gar verboten, ihm bei der Arbeit zuzusehen. Ich erinnere mich daran, als sei es gestern gewesen. Wir waren von der Arbeit des Metzgers fasziniert und die Frage stand sogar mal im Raum, ob ich nicht später einmal den Beruf des Metzgers wählen sollte. Meine Freunde und ich waren fasziniert, den Metzgern bei ihrer Arbeit zuzuschauen.  Ich erinnere mich noch haargenau, wie man beispielsweise die Schweine erst mit einer Schlagbolzenpistole betäubte und ihnen anschliessend mit einem Messer die Kehle durchschnitt. Das Blut wurde in einem Eimer gesammelt, um wahrscheinlich später Blutwürste herzustellen. Ich sehe immer noch, wie den «gemetzgeten»  Schweinen anschliessend in einem heissen Wasserbad mit Ketten die Borsten entfernten wurden und wie die fachmännisch aufgebrochenen Tiere später, nachdem sie in verschiedene Einzelteile zerlegt worden waren, in den Kühlraum zum Lagern gebracht wurden. Damals habe ich nicht verstanden, warum man erst das Tier tötet, um es im Anschluss noch heiss heiss zu baden. Niemand hat sich damals gefragt, ob wir vom Gesehenen eventuelle Schäden davontragen könnten. Wir hatten wegen der Arbeit der Metzger im Nachhinein weder Angst- noch Albträume und wussten schon damals ganz genau: Wenn wir schon Fleisch zum Essen haben wollten, musste halt ab und zu ein Tier getötet werden. Das war schon immer so und so wird es auch in Zukunft bleiben.

 

Im Zusammenhang mit dem Metzgereibetrieb von Jacques Kamm-Vogel gibt es noch eine weitere kleine Geschichte. Bekanntlich gehörte die Mugiweid damals dem Metzger Kamm. Dort weideten den Sommer über Schafe, Ziegen und manchmal auch Kälber und Rinder; dies meistens unbeaufsichtigt. Irgendwann wurden wir Buben aus der Nachbarschaft einmal vom Metzgermeister gefragt, ob wir Lust hätten, am schulfreien Mittwochnachmittag die Schafe auf der Mugiweid zu hüten. Als Lohn gäbe es für uns Wurst und etwas zum Trinken. Wir fanden die Idee gut und so kam es, dass wir über rund hundert Schafe die Aufsicht hatten. Nachdem wir die Schafe abends wieder in den Stall zurückgebracht hatten, konnten wir im Garten der Metzgerei unter Bäumen unseren verdienten Lohn abholen. Dieser gab’s in Form von heissem Fleischkäse, Wurstwaren und Getränken - für uns Buben ein erster Lohn, nicht allzu fürstlich, aber immerhin.  

 

 

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