Geschichten aus der Jugendzeit

Maikäfer-Suppe  -  e Guete!

Von Hans Speck

 

Der Maikäfer verbringt einen Grossteil seines Lebens als Larve in der Erde. Engerlinge nennt man die dicken, weissen Würmer, die sich von Wurzeln ernähren. Nach vier Jahren sind sie ungefähr fünf bis sechs Zentimeter lang. Im August verpuppen sie sich und nach vier bis acht Wochen schlüpfen die niedlichen kleinen "Monster“, die den Winter dann noch in der Erde verbringen und erst im Frühling des fünften Jahres heraus kommen. Dann kann der Maikäfer zu einer richtigen Landplage werden. Noch in den 50er-Jahren wurde er von uns Kindern von Bäumen und Sträuchern geschüttelt. Wir konnten uns damit ein kleines Taschengeld verdienen. Bauern führten sogar einen regelrechten Krieg gegen diesen Schädling.

 

Maikäfer-Suppen-Kaspar

Hier in Netstal war es in den 50er-Jahren so, dass bei einem Flugjahr, welches bekanntlich alle drei bis fünf Jahre stattfindet, die Gemeindebehörde in der Nähe des heutigen Fussballplatzes, ungefähr dort, wo heute der Spielplatz steht, jeweils eine Hütte aufstellen liess. Irgendwie sah die aus wie eine kleine Alphütte: In der Mitte brannte ein Feuer, an einer speziellen Tragvorrichtung hing ein altes "Sennechessi“, gefüllt mit heissem Wasser, in welches die eingesammelten Maikäfer hineingeschüttet wurden. Ganz in der Nähe, mitten in der Wiese, gab es ein Loch von etwa drei Metern Tiefe. Wir nannten dieses das "Chäferloch“. In dieses Loch hinein wurden die gesottenen Käfer später entsorgt. Es stank fürchterlich aus diesem Loch und dieser penetrante Geruch war je nach Windrichtung sogar im Dorf noch zu riechen. Während den offiziellen Betriebszeiten waren die beiden Netstaler Originale "Chäpp und Chäpp“ die Obersieder und Chefs der ganzen Maikäfer-Suppen-Küche. Der eine der Protagonisten hiess Schmuckli und war nebenbei mein Götti, der andere hiess Weber und wohnte in der Nähe des Netstaler Schützenstandes. Die beiden Protagonisten waren ein eingespieltes Team und zu keiner Zeit verlegen, den Maikäfersammlern aus dem Dorf einen Bären aufzubinden. „Wetsch au ä chlä vu dener feine Maiächäfer-Suppä probierä?“, frotzelte mein Götti. Allein schon der Gestank dieser Maikäfer-Brühe im "Chessi“ war alles andere als einladend, geschweige denn geniessbar! Das Maikäfersammeln erforderte ein geschicktes Vorgehen. Man könnte beinahe sagen, es war ein Zeremoniell. Erst wurden Tücher rund um einen Baum gelegt, gerade so, dass ja kein Maikäfer beim Herunterfallen daneben fiel. Dann umschlangen die kräftigsten der Knaben die Baumstämme, schüttelten diese mit aller Kraft oder kletterten furchtlos sogar bis in die obersten Baumwipfel, damit der Schütteleffekt noch effizienter war. Für das Bodenpersonal waren meistens die Mädchen zuständig, welche die heruntergefallenen Maikäfer flugs einsammelten, damit diese nach ihrem jähen Erwachen nicht einfach davon flogen. Einmal in den Behälter gelegt, gab es für die Nimmersatts kein Entrinnen mehr.

 

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Ich war mit meiner Schwester Käthi und ihrem gleichalterigen Schulkamerad Ernst schon frühmorgens um halb sechs Uhr unterwegs in den Buchwald. Um diese Zeit hingen die Maikäfer noch schlaftrunken und festgekrallt auf Blättern und Zweigen und ahnten nichts vom Schicksal, welches sie in den nächsten Stunden ereilte. Mit Tüchern, Botanisierbüchsen und Milchkesseln bewaffnet ging es schnurstracks in den Wald. Schon von weitem sah man die Objekte unserer Begierde. Unsere Sammlerwut wurde zusätzlich geschürt durch die Tatsache, dass die Gemeindebehörde Maikäfer-Sammler mit einem lukrativen Angebot in Scharen anlockte. Für einen Liter gesammelter Maikäfer gab es sage und schreibe fünfzig Rappen, für uns Kinder eine gelungene Möglichkeit, unser Taschengeld, das es nie gab, aufzubessern. So schüttelte der bärenstarke Ernst die Bäume, aus denen jede Menge Maikäfer wie aus einer schwarzen Wolke fielen. Meine Schwester und ich sammelten diese rasch möglichst ein. In kürzester Zeit waren unsere Sammelbehälter, Botanisierbüchsen, Papiertüten und Milchkessel randvoll mit noch lebenden Maikäfern. Nun war es an der Zeit, das Sammelgut bei der Chäferhütte abzuliefern. Nachdem Gewicht und Preis feststanden, händigte einer der "Chäppen“ eine Gutschrift aus, mit der man beim Gemeindeverwalter das Käfergeld abholen konnte. In diesem Zusammenhang ist noch erwähnenswert, dass es zur selben Zeit in unserem Dorf einen Maikäfer-Sammler gab, der alle Rekorde schlug. Köbi Beeler hiess der ungekrönte König aller Maikäfersammler, wohnte an der Risi Strasse vis-à vis des Motorhauses der NOK und war Betreiber eines Herren-Coiffeur-Geschäfts. Während unser Sammelgut im Schnitt etwa 10 – 15 Liter gesammelte Maikäfer ergab, brachte es der Coiffeur-Köbi aus der Risi locker bis auf 40 – 50 Liter. Fässerweise brachte er sein Sammelgut zur Chäferhütte. Gegen den Coiffeur-Köbi hatte jahrelang niemand eine Chance! Leider ist aus den Netstaler Geschichtsanalen nicht mehr herauszufinden, wann das letzte Mal in der Chäferhütte beim Buchwald Maikäfer gesotten wurden.

 

…und es folgt der fünfte Streich!

 

Sogar Wilhelm Busch widmete in seinem Buch "Max und Moritz“ eine kleine Geschichte dem geliebten, von vielen aber auch gehassten Krabbeltier. Im 5. Streich der beiden Lausbuben schreibt Busch:

 

 

Jeder weiß, was so ein Mai- 

Käfer für ein Vogel sei.

 

In den Bäumen hin und her 

Fliegt und kriecht und krabbelt er.

 

Max und Moritz, immer munter, 

Schütteln sie vom Baum herunter.

 

 

In die Tüte von Papiere 

Sperren sie die Krabbeltiere.

 

Fort damit und in die Ecke 

Unter Onkel Fritzens Decke !

 

Bald zu Bett geht Onkel Fritze 

In der spitzen Zipfelmütze,

 

  

Seine Augen macht er zu,  

Hüllt sich ein und schläft in Ruh.

 

Doch die Käfer, kritze, kratze! 

Kommen schnell aus der Matratze.

 

Schon fasst einer, der voran, 

Onkel Fritzens Nase an.

 

 

"Au!" schreit er, "was ist das hier?" 

Und erfasst das Ungetier.

 

Und den Onkel voller Grausen 

Sieht man aus dem Bette sausen.

 

"Autsch!" – schon wieder hat er einen

lm Genicke, an den Beinen;

 

 

Hin und her und rundherum 

Kriecht es, fliegt es mit Gebrumm.

 

Onkel Fritz, in dieser Not, 

Haut und trampelt alles tot.

 

Guckste wohl, jetzt ist’s vorbei 

Mit der Käferkrabbelei!

 

Onkel Fritz hat wieder Ruh 

Und macht seine Augen zu. 

 

 

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