Das Kasino von Netstal

Text und Bilder von Hans Speck

 

 

 "Jetzt bützerisch aber gwaltig – muesch mir doch nüd verzellä, z’Netschtel heig‘s emal es Kasino gii“, stellte ein ehemaliger Schulkollege aus der Klosterschule eine entsprechende Aussage von mir in Frage, als wir uns eingehend über den Zerfall einiger ehemaligen, geschichtsträchtigen Netstaler Häuser unterhielten. In der Tat findet man in den Annalen der Geschichte der Gemeinde Netstal keine Angaben, dass jemals im Wiggisdorf an einem Roulette-Tisch des Croupiers "Faites vous jeux“ ertönte, dass an Spieltischen das Karten-Glücksspiel Baccara gespielt wurde oder einarmige Banditen viel Geld ausspuckten. Und trotzdem wurde ein Haus auf der Westseite des Bühls als "Kasino“ benannt. Ebenso wird noch heute ein kleiner, schmaler Zugangsweg entlang des Bühls als Kasinoweg benannt. Trotzdem bin ich nach Recherchen dem Geheimnis auf den Grund gekommen. Das Haus "Kasino“ gehörte damals dem wohl bekanntesten Einwohner des Dorfes am Fuße des Wiggis. Sein Name war Mathias Netstaler. Ob der ehemalige Landammann einer der Namensgeber unserer Gemeinde war, ist nicht erwiesen. Eindeutig erwiesen ist hingegen, dass Mathias Netstaler in den Jahren zwischen 1360 und 1370 geboren wurde. Im April 1416 und im folgenden Jahr wurde er zum Landammann gewählt. Dreimal diente er dem Kanton als Tagsatzungs-Gesandter. Im Oktober 1417 begrüssten er und Landammann Vogel in Weesen den deutschen Kaiser Sigismund, als dieser eine Reise vom Konzil in Konstanz nach Einsiedeln machte. Bekanntlich gab es damals und gibt es noch heute in der deutschen Bodensee-Metropole Konstanz Kasinos. Ob hier ein Zusammenhang besteht ist reine Spekulation. Jedenfalls nannte Netstaler sein Haus hinter dem Bühl "Kasino“. In der Nähe des Kasinos stand vermutlich auch das Haus von Mathias Ambühl, dem Glarner Anführer bei der Schlacht bei Näfels im Jahre 1388. Später wurde in diesem Hause gemäss Geschichte eine Konditorei untergebracht.

 

Die Casino- Bäckerei in Netstal

 

Schriftliche Unterlagen und Belege beweisen, dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Erdgeschoss des Casinos eine von einem deutschen Zuckerbäcker geführte Bäckerei-Conditorei betrieben wurde.

 

Mittels Verlesen eines Mandats machte der Besitzer dieser Bäckerei die Bevölkerung auf die Eröffnung seines Geschäfts aufmerksam. In der frühen Neuzeit waren offene Mandate zentrale Instrumente der Regelung des öffentlichen Lebens (Münzwesen, Polizeiwesen, sittliches Verhalten). Sie wurden häufig mit Hilfe des Buchdrucks verbreitet. Das Wort Mandat kommt vom lateinischen «mandare» -  aus der Hand geben, beauftragen, befehlen. In Form von Urkunden erteilte der Aussteller Aufträge, Befehle oder machte Angebote bekannt. Nach der Erledigung des Auftrags war das Mandat automatisch erloschen; das betreffende Schriftstück wurde üblicherweise vernichtet.

  

Nachstehend ein Auszug aus dem Mandat  mit der Nummer 47:

 

1840 – Nr. 47: Mandat zu verlesen – sonntags, den 22. November

 

Der Unterzeichnete, der sich in verschiedenen grossen Städten von Deutschland und Russland zum Conditor ausgebildet hat, wird mit künftiger Woche sein Conditoreigeschäft in seinem Laden im Haus Casino (im Erdgeschoss) eröffnen. Er empfiehlt sich daher einem verehrlichen Publikum zu allen beliebigen, in das Fach eines Conditors oder Zuckerbäckers einschlagenden Aufträgen und Bestellungen, die er möglichst schnell, billig und geschmackvoll auszuführen, sich bestreben wird.

 

Wie damalige Zeitzeugen behaupteten, bekam man in der Casino-Bäckerei in Netstal ausgezeichnete Spezialitäten vor allem aus deutschen Landen, z.B. Roggen-Mischbrote und Weizenschrotbrote. Aber auch feine Torten und andere Süsswaren fanden bei der Bevölkerung reissenden Absatz. Irgendwann gegen Ende des 19.  Jahrhunderts wurde die Bäckerei geschlossen und aus deren Räumlichkeiten wurden Wohnräume.

 

Das Ende vom Netstaler Kasino

Kasino im Brand
Kasino im Brand

 Am Dienstag, 21. Januar 1952, an einem klirrend kalten Wintermorgen kam es im Wohnhaus Kasino zu einem Brandausbruch mit verheerenden Folgen. Die Feuerwehr Netstal war zwar rasch zur Stelle und versuchte das mittlerweilen in Vollbrand stehende, alte Gebäude zu löschen. In Anbetracht der extremen Kälte gefror das Löschwasser im Nu. Trotz dem grossartigen Einsatz aller Feuerwehrleute brannte das Gebäude vollständig aus. Die Einsatzkräfte unter dem Kommando von Emil Leuzinger, besser bekannt unter dem Namen "Maler Miig“, mussten sich im Anschluss an diesen eisigen Einsatz in den nahe gelegenen Restaurants auftauen lassen. Nach Aussagen verlässlicher damaliger Zeitgenossen soll keiner der Feuerwehrmänner nach dem harten Einsatz auf diverse, ominöse Feuerwässerchen verzichtet haben.

 

Kasino nach dem Brand
Kasino nach dem Brand